Sie begleiten einen das ganze Leben: mehr oder weniger wohlmeinende Sprüche, die einem sagen, wie man etwas zu tun hat. Ob in der Familie („Iss deinen Teller leer, sonst gibt‘s morgen schlechtes Wetter“), im Matheunterricht („Kürzen, kürzen, sonst wird der Lehrer dir das würzen“) oder im Übersetzerstudium („When in doubt, find it out“). Oft sind sie irgendwie unfair, und bei genauer Hinterfragung auch unlogisch.
Was, wenn auch nur ein Kind in einer 600.000-Einwohner-Stadt wie Dortmund seinen Teller nicht leer isst? Schwebt die Regenwolke dann nur über ihm? Was bedeutet das latent bedrohlich klingende „würzen“, wenn die Prügelstrafe doch eigentlich abgeschafft ist? Und was, wenn das Herausfinden eines seltenen Pflanzennamens zwei Tage dauert und den Zeitplan ad absurdum führt?
In der Werbung ist das nicht anders. Leitsätze wie „Qualität kommt von Qual“ kommen vor allem dem Chef zugute, nicht unbedingt der Arbeit und schon gar nicht dem Gequälten. Darüber hinaus sind sie nicht selten widersprüchlich. Der eine CD sagt: „Schreib ALLES auf, was dir einfällt, zensier‘ dich nicht selbst.“ Der andere sagt: „Schreib nur auf, was mindestens das Papier wert ist, auf dem es steht.“ Wem soll man glauben?
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit, wie fast immer, in der Mitte. Natürlich kann die rettende Idee völlig unverhofft unter der Dusche kommen, sodass man ausrutscht, auf den Kopf knallt und sie dann wieder vergessen hat. Trotzdem sollte man nicht dauerduschend darauf warten. Und der Preis eines weißen DIN A4-Blattes liegt sicher nicht im Millionen-Euro-Bereich. Auch dann nicht, wenn es handgeschöpft und mit Rosenduft versehen ist.
Bleibt die Frage: Wer braucht diese scheinbar göttlichen Anweisungen? Wohl vor allem der, der sie erteilt. Denn jeglicher Widerstand wird damit im Keim erstickt. Ohne den geringsten Zweifel.
Kai Frese, Jahrgang 1973,
ist Diplom-Übersetzer und freier Texter in Berlin, u.a. für die Schleuse01
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