Seit Jahrzehnten heißt es, Werbung solle die geheimen Träume der Menschen erkennen, aufgreifen und erfüllen. War das früher so – und wie ist das heute?
Zunächst muss man sagen, dass Träume oft ausgesprochener Mist sind. Ich musste einmal eine ganze Nacht lang unter dem Reichstag eine riesige Latrine säubern, während gleichzeitig meine Eltern mit mir Kaffee trinken wollten und eine Atomrakete auf Berlin zuflog (bei der Detonation wachte ich völlig gestresst auf). Die simple, perfide Erklärung: Ich hatte an dem Tag etwas über Atomwaffen gelesen, mit meinen Eltern am Telefon geplaudert und an einem Job für einen Toilettenreiniger gearbeitet.
Wenn es darum geht, Alpträume umzusetzen, so ist ein Großteil der Werbung sicherlich gut darin. Man wird oft penetrant angeschrien, Ausgeburten der Hölle (wie der Lochfraß-Mann) werden erfunden und gut gestylte 70-Jährige joggen agil und verliebt Hand in Hand am Traumstrand entlang.
Was aber ist mit den schönen Träumen, die es ja auch manchmal gibt?
Betrachtet man eine TV-Serie wie Mad Men, die im New York Anfang der 60er spielt, haute das damals ganz gut hin. Man träumt davon, Teil der wilden Geschichte und Freiheitskultur seines Landes zu werden, also kauft man sich ein großes, Sprit fressendes Traumauto. Man träumt davon, der perfekte Familienmensch zu sein, also kauft man sich einen sündhaft teuren Diaprojektor zum Bilder vorführen. Und so weiter und so fort.
Heute geht das nicht mehr so einfach. Das liegt wohl am Individualismus. Es gibt sie kaum noch, die Strömungen, mit denen sich eine große Gruppe gemeinsam identifizieren kann. Es gibt keine Aufbruchstimmung mehr, oder nur noch kurz und selten. Das muss nicht unbedingt schlimm sein, aber in der Werbung hat es sich ausgeträumt. Heute wollen Menschen klar informiert und intelligent unterhalten werden: Emanzipation und Witz statt Märchen und Bevormundung.
Eigentlich keine so schlechte Ausgangslage.
Kai Frese, Jahrgang 1973,
ist Diplom-Übersetzer und freier Texter in Berlin, u. a. für die Schleuse01